Contra: Der bittere Nachgeschmack von Saccharin
"
We're up all night 'til the sun / We're up all night to get some / We're up all night for good fun / We're up all night to get lucky." Über Wochen hinweg plärrt mir Pharrell Williams ins Ohr, ich möge glücklich sein. Aber gefälligst sofort. Kein Entkommen. Mit jedem weiteren Durchlauf dieser durchwachsenen
Chic-B-Seite steigt in mir der unauslöschliche Wunsch empor, mich in den Keller zu verziehen und die gesamte
Nick Cave-Discography zu hören. Zweimal. Mögen die restlichen Schlümpfe ruhig in den Sonnenuntergang tanzen. Ich bin Muffi Schlumpf. Ich hasse "Get Lucky".
Mit Hilfe unzähliger Features wie Nile Rodgers, Julian Casablancas,
Gonzales und Panda Bear greifen Daft Punk nach der Goldmedaille. "
Reach out / Reach out for the medal / Reach out / Reach out for the gold." Doch beim Schnauzbart von Giorgio Moroder, alles was sie am Ende in der Hand halten ist eine schnell schmelzende Schokomedaille, die sich bei sämtlichen langweiligen bis verachtenswerten Sounds der späten 1970er und frühen 1980er bedient. Am Ende von "Random Access Memories" können wir uns nur herzlichst bedanken, dass sie nicht auch noch Ashford & Simpsons "Solid" ausgegraben, neben Starships "We Built This City" wohl eines der größten Verbrechen am Kulturgut Popmusik.
Jaja, unsere beiden Lord Helmchens setzen nach dem
Tron-Soundtrack nun vermehrt auf Spaß und Liveinstrumente. Geschenkt. Das macht diese abgeschlaffte Ansammlung an Liedchen nicht besser oder schlechter.
Tokio Hotel werden auch nicht besser, nur weil die Kaulitz-Brüder wissen, wie herum man eine Gitarre halten muss.
Den Einstieg zur Rollschuhdiskohölle geschieht über "Give Life Back To The Music". Bei allen Verdiensten, die Nile Rodgers in seiner langen Karriere zukommen, eigentlich eine Schande ihn immer und immer wieder auf die ewig selben Chic-Grooves zu reduzieren.
Doch wirklich übel wird es erst im darauf folgenden "
The Game Of Love". Das Spiel der Liebe verwechselt Sexiness mit Schmierigkeit. Selbst für Soft-Porno-Produzenten dürfte das Ding mit seinem nervigen Vocoder-Gesäusel zu seicht sein. Es besteht die Gefahr, dass die Akteure beim Liebesspiel einpennen. Ebenso ergeht es dem schnarchnasigen "Within". Betrachtet man das restliche Arrangement wirft Gonzales am Klavier Perlen vor die Säue.
Diesmal schrecken die Abercombie & Fitch der Elektromusik vor nichts zurück. Für "Instant Crush" recyceln sie Alan Parsons Projects "Eye In The Sky", nur um darüber die wohl abscheulichste Performance des Strokes-Sängers Julian Casablancas zu legen. Die Mischung aus Vocoder und Casablancas schmerzt dermaßen, dass ich darüber nachdenke, mir Zement in die Ohren schütten.
Braucht es 2013 wirklich eine seelenlose Hall & Oates-Nummer wie "Fragments Of Time"? Die waren doch 1982 schon nur blasswangiger Radioschlonz. Der Soundtrack des aalglatten und koksnäsigen Yuppietums. Warum sollte ich heute etwas abfeiern, das mir vor 30 Jahren schon auf den Senkel ging? Das ist mir einfach zu hoch.
Das einschläfernde "
Motherboard", dessen Gedudel einem aus jedem Esoterik-Laden entgegen strömen könnte, als "
futuristic composition, referencing the year 4000" zu bezeichnen bleibt in seiner Frechheit zumindest lausbübig. Es scheint fast so, als gehöre es neuerdings zum guten Ton, solch rückwärtsgewandte, einfallslose Kompositionen als 'next level shit' zu verkaufen.
"Random Access Memories" umgibt der rattenfängerische Glanz von Las Vegas. Vom hellen Licht geblendet, fällt uns nicht mal mehr auf, dass wir schon lange nicht mehr der Musik von Bangalter und de Homem-Christo lauschen. Heimlich haben sich Siegfried und Roy unter ihre Masken geschmuggelt.
Zur übertrieben pathetischen Plastikgeigen-Eröffnung von "
Beyond" schwebt
Liberace auf die Bühne. Sobald in "Touch" das Westernpiano anfängt zu klimpern, rechne ich endgültig mit dem schlimmsten.
Barry Manilow entert die Bühne und trällert sein "Copacabana". Dem Wahnsinn nahe schmeiße ich mit Plastik-Flamingos durch die Gegend. Das ist nicht gut, das ist nicht schlecht, das ist einfach nur grotesk.
Noch mal zurück zu "
Beyond". Die Kunst des Samplens liegt darin, aus einem oft nicht einmal sonderlich guten Stück etwas besonderes zu formen. So schaffte es
Warren G 1994 aus dem bornierten
Blue Eyed Soul von Michael McDonalds "I Keep Forgettin' (Every Time You're Near)" "Regulate" zu basteln. Doch er hatte eine Story, eine neue Hook und vor allem
Nate Dogg zu bieten.
Fast zwanzig Jahre später haben Daft Punk nach dem bereits erwähnten theatralischen Beginn außer dem üblichen Vocoder-Stimmchen und ein paar immerhin netten Keyboardpassagen nichts hinzuzufügen und nudeln den Groove fünf Minuten lang zu Tode. Dann greife ich sogar lieber auf das Michael McDonalds-Original zurück.
Doch wenigstens zwei Tracks reißen ihre Arme aus dem muffigen Gräbern von Daft Punks viertem Longplayer empor. Sie wollen leben. Das als Interview beginnende "Giorgio By Moroder" mit Hansjörg himself, eine Zeitreise durch die Musikgeschichte der letzten Jahrzehnte, überrascht mit bemerkenswerten Breaks, einer ausufernden Dynamik, einer ordentlichen Portion Deep House, einem derbsten Basslauf und garstig verzerrter Gitarre.
Unter "Contact" zerbersten zum Ende ganze Planeten. Ein ehrfürchtiger Kubrick-gleicher Ritt durch das All und ohne Übertreibung wohl eine der besten Schlussnummern ever. Beide Songs trägt Quinns grandiose Schlagzeugarbeit.
Letztendlich bleibt von "Random Access Memories" nur der bittere Nachgeschmack von Saccharin. Die zwei besten Tracks vergegenwärtigen nur die Größe des Scheiterns im weiteren Verlauf des Longplayers. Wer so etwas feiert, trägt auch Flip Flops und mampft angegammelte Ed von Schlecks. "Like Ice In The Sunshine"-Musik in Slow Motion.
Daft Punk kamen nach Hause und fanden in Mamis Mikrowelle den alten
Disco-Mampf, der einst den
Soul und
Funk getötet hat. Den haben sie dann brav aufgewärmt. Aber in der Mitte ist er noch kalt. Get am Arsch die Räuber. Get Fucked.
Contra-Review von Sven Kabelitz
Quelle